Stiftung Chance für das kritisch kranke Kind

Leben mit der Trachealkanüle

Die Stiftung Chance für das kritisch kranke Kind hat die Intermediate Care, eine Station für Langzeitpatienten auf der Intensivstation des Kinderspitals Zürich, mitfinanziert. Auf der Intensivpflegestation IPS A2 erlernen Eltern die komplexe und aufwändige Pflege ihrer Kinder, damit deren Entlassung nach Hause möglich wird.

Manche Kinder kommen mit sehr engen oberen Atemwegen zur Welt oder die Atemwege verengen sich durch Krankheit. Andere Kinder sind zu schwach, um selbst zu atmen. In solchen Fällen ist eine Trachealkanüle nötig. Durch das kleine Röhrchen, das am Hals in die Luftröhre eingeführt wird, kann das Kind ungehindert atmen oder beatmet werden. Die Trachealkanüle ist ein wichtiger Schritt dieser Kinder auf dem Weg nach Hause. Bedingung ist, dass die Eltern die aufwändige Pflege lernen und zu Hause weiterführen können.

Frühling/Sommer 2015. Im April erfahren Lios Eltern, dass ihr ungeborenes Kind an einer linksseitigen Zwerchfellhernie leidet. Durch die Öffnung im Zwerchfell drücken die Bauchorgane in den Brustkasten und verdrängt die Lunge, die sich dadurch nicht richtig entwickeln kann. Lio kommt am 21. Juli 2015 im Universitätsspital Zürich zur Welt. Einen Tag später wird er auf die Intensivstation A1 des Kinderspitals Zürich verlegt. Erst nach fast einem Jahr kann er das Kispi verlassen.

Wenige Tage nach der Geburt wird Lio operiert, die Organe in den Bauchraum zurückversetzt, die Hernie geschlossen. Weil Lios Lunge wenig entwickelt ist, muss er auch nach der Operation über eine Atemmaske beatmet werden. In den folgenden Wochen macht Lio auf der Intensivstation und später auf der Neonatologie gute Fortschritte. Um ihm die Nahrungsaufnahme zu erleichtert, wird Lio über eine Sonde ernährt. Seine Eltern wechseln sich ab, fahren täglich die lange Strecke ins Kinderspital Zürich. Lios grosser Bruder Jamie verbringt seine Nachmittage beim Grosi. 

Nach sechs Wochen kommt es zu einer plötzlichen Verschlechterung von Lios Atmung. Lio wird auf die Intensivstation zurückverlegt. Es zeigt sich, dass auch die Luftröhre wenig entwickelt ist und die Lunge während des langen Krankheitsverlaufs gelitten hat. Die verschiedenen Faktoren machen das Atmen für Lio schwierig. Er wird längerfristig beatmet werden müssen. Um dies zu gewährleisten, entscheidet man sich für die Trachealkanüle. Nach diesem Eingriff stabilisiert sich Lios Zustand rasch. Er wird auf die IPS A2 verlegt. Nun muss nicht mehr um Lios Überleben gekämpft werden. Für die Eltern geht es jetzt darum, die aufwändige medizinische Pflege zu erlernen, damit Lio nach Hause kann. Unter Anleitung des interdisziplinären Teams der IPS A2 übernehmen die Eltern Schritt für Schritt die Versorgung ihres Sohnes. Auf der Langzeitintensivstation A2, ehemals Intermediate Care, werden komplex kranke Kinder betreut. Sie bietet mehr Platz und ein ungestörteres Umfeld als die IPS A1. Auf die IPS A2 kann Jamie für längere Besuche mitkommen.

Im März 2016 darf Lio endlich nach Hause! Trotz der intensiven Pflege, die der Kleine zu Hause braucht, kehrt ein neuer Familienalltag ein. Die langen Fahrten ins Kispi fallen weg. Lio wird beatmet, über eine Sonde ernährt und muss rund um die Uhr überwacht werden. Er reagiert abweisend, wenn man ihn am Mund berührt. Es gelingt ihm jedoch trotz Trachealkanüle, Geräusche zu machen. Die Kinder-Spitex, eine Logopädin und eine Physiotherapeutin unterstützen die Eltern bei der Betreuung. Und natürlich ist das Team der IPS A2 jederzeit für Fragen erreichbar. Erste Ausflüge mit Lio hat die Familie bereits unternommen. Dafür musste der Kombi gegen einen Van eingetauscht werden. Beatmungsgerät und jede Menge Pflegematerial fahren jeweils mit.

Lios nächster Besuch im Kispi ist schon vorgesehen. Auf der IPS A2 wird Lios Zustand kontrolliert, werden die Einstellung der Beatmung, die Medikamente und Nahrung angepasst. Und natürlich hoffen die Eltern, dass sich Lios Zustand stabilisiert haben möge, dass er kräftiger geworden, seine Lunge nachgereift sei und er eines Tages auf die Kanüle und die Beatmung werde verzichten können. Ein langer Weg der kleinen Schritte.

Im Juli 2016 ist Leonardo dreieinhalb Jahre alt. Seine Schwester Alessandra, sein Vater und sein Zwillingsbruder Michele sind in den Sommerferien. Leonardo musste mit seiner Mutter zu Hause bleiben. Leonardo atmet, seit er acht Monate alt ist, durch eine Trachealkanüle. Er spielt am Computer, kurvt mit seinem Dreirad durch die Wohnung. Drei- bis viermal pro Stunde muss Schleim aus Leonardos Lunge abgesaugt werden. Er wird vollständig, also dreimal täglich, über eine Sonde ernährt. Vier- bis fünfmal täglich muss Leonardo inhalieren. Täglich muss der Zugang am Hals gesäubert und desinfiziert sowie das Band, das die Trachealkanüle an Ort und Stelle hält, gewechselt werden. Für Leonardo jedes Mal unangenehm. Fünfmal in der Woche hält die Kinder-Spitex Nachtwache. Nachts ist Leonardo an die Beatmungsmaschine angeschlossen. Atmung, Puls und Sättigung werden von Geräten überwacht. Auch nachts muss drei- bis viermal pro Stunde Schleim abgesaugt werden. Zudem wird die Magensonde angehängt. Leonardo mag es nicht, wenn man ihn am Mund berührt. Er isst nicht über den Mund. Durch die Trachealkanüle fällt ihm die Stimmbildung schwer. Er verständigt sich mit selbstkreierten Handzeichen und Gebärdensprache, die er und seine Familie lernen. Gemeinsame Ferien hat die fünfköpfige Familie seit der Geburt der Zwillinge nie gemacht. Leonardo kehrt alle sechs Monate zur Kontrolle auf die IPS A2 des Kinderspitals Zürich zurück. Die Familie ist jedes Mal gespannt, ob sich eine Perspektive und damit ein Ende der Zeit mit der Trachealkanüle und Beatmung abzeichnet. Verständlicherweise.



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