Stiftung Chance für das kritisch kranke Kind

Wenn ein Kind stirbt

Rund zwölf Frauen leisten im Kinderspital Zürich Pikettdienst, wenn Eltern ihr Liebstes verlieren. Als Care Team stehen sie Familien beim Tod eines Kindes bei.

Die Einsätze der Mitarbeiterinnen des Care Teams werden ausschliesslich von der Stiftung Chance für das kritisch kranke Kind finanziert.

Nach drei Dingen erkundigt sich Claudia Dobbert vor einem Einsatz. Was ist passiert? Welcher Kultur gehören die Angehörigen an? Welche Sprache sprechen sie? Dann geht sie los, um Eltern in einem der entsetzlichsten Momente ihres Lebens beizustehen. Eltern, die ein Kind verloren haben.

Claudia Dobbert ist Leiterin des Care Teams des Kinderspitals Zürich, dessen Einsätze ausschliesslich von der Stiftung Chance finanziert werden.

Kernaufgabe des Care Teams ist es, Angehörigen sterbender oder verstorbener Kinder beizustehen. 

Für die Begleitung einer Familie in einer Krisensituation braucht es vor allem Zeit. Zeit, die Situation zu verstehen, zu begreifen, anzunehmen. Gerade in Notfallsituationen ist es für das aktuelle Behandlungsteam jedoch oft schwierig, die nötige Zeit aufzubringen, um umfassend auf die Familie einzugehen. Deshalb gibt es das Care Team. Durch seine Arbeit unterstützt es auch die Mitarbeitenden des Kinderspitals. 

Rund zwei Drittel der Kinder, die im Kinderspital Zürich sterben, sind Patientinnen oder Patienten der beiden Intensivpflegeabteilungen, das letzte Drittel stirbt im Schockraum, der zur IPS gehört. Kritisch kranke Neugeborene überleben aufgrund mehrfacher Behinderungen oft nur wenige Tage. Grössere Kinder sterben an lebensbedrohenden schweren Krankheiten oder Unfällen.

 

Jedes Jahr sterben im Kinderspital Zürich 50 bis 60 Kinder. Ein Kind pro Woche.

 

Das Care Team wurde von der Ärztin Katharina Waldvogel im Jahr 2000 ins Leben gerufen und seither ausschliesslich von der Stiftung Chance für das kritisch kranke Kind finanziell getragen. Seine Aufgaben sind vielfältig, umfassen in erster Linie die Begleitung, Unterstützung und Information der Familie sowie die Betreuung der Geschwister in der akuten Krisensituation. Das Care Team ist zudem dafür besorgt, Informationsmaterial an die Angehörigen abzugeben. Es kümmert sich um den Aufbahrungsraum und Materialen für Abschiedsrituale.

Die Mitarbeiterinnen des Care Teams sind in verschiedenen Bereichen am Kinderspital Zürich tätig; als Pflegefachfrauen auf den Intensivpflegestationen, Pflegeberaterinnen Pädiatrische Palliative Care, Fachpsychologinnen, Pflegefachfrauen Onkologie, Sozialarbeiterinnen, Pflegeexpertinnen aus dem Bereich Chirurgie.

 

Alle Mitarbeiterinnen leisten Pikettdienst. Ziel ist es, dass das Care Team rund um die Uhr, während sieben Tagen die Woche, an 365 Tagen im Jahr erreichbar wäre. Dafür braucht es aber weitere Mitarbeiterinnen und zusätzliche finanzielle Mittel.

 

Was sie bei einem Einsatz erwartet, weiss Claudia Dobbert vorher nicht. Manche Eltern sind sprachlos in ihrer Trauer, andere werden in ihrem Schmerz aggressiv. Claudia Dobbert ist Pflegeberaterin und suchte nach zweijähriger Tätigkeit auf der IPS des Kinderspitals Zürich eine neue Herausforderung. Sie hat sich im Bereich Palliative Care weitergebildet. Zugute komme ihr, meint sie, dass sie «wenig Berührungsängste hat mit dem Tod» habe.

Das Care Team bereitet neue Mitarbeiterinnen anhand eigener Erfahrungen auf die Einsätze vor. Alle Mitarbeitenden nehmen jährlich an einer spezifischen Weiterbildung teil. Anlässlich von zwei Supervisionen pro Jahr werden Erfahrungen ausgetauscht, besprochen und eingeordnet.

 

Man muss es aushalten können, nichts sagen, nichts helfen, nichts lindern zu können.

 

Durch die verschiedenen beruflichen Hintergründe hat jede Mitarbeiterin des Care Teams eine eigene Herangehensweise an eine Krisensituation bzw. die End of Life-Betreuung eines sterbenden Kindes. Kaum eine Situation gleich der anderen. Familien entscheiden, welche Angebote des Care Teams sie annehmen möchten.

So kann eine Mitarbeiterin aus dem Fachbereich Pflege beispielsweise vorschlagen, das verstorbene Kind zu waschen und einzukleiden, während eine Mitarbeiterin aus dem Sozialbereich einen anderen Zugang zu den Eltern und Geschwistern findet. Meist gilt es, die Wünsche und Bedürfnisse der Familie zu erahnen und entsprechende Angebote zu machen. Zum Beispiel können von den Füsschen des verstorbenen Kindes zur Erinnerung Gipsabdrücke angefertigt werden. Spezialisierte Fotografinnen können organisiert werden, die erste oder letzte Bilder des «kleinen Engels» machen. Damit sich Eltern, die in der Krisensituation meist wenig aufnahmefähig sind, später zurechtfinden, übergibt das Care Team Informationen mit wichtigen Adressen und Anlaufstellen. Darin sind auch die administrativen Notwendigkeiten aufgeführt sowie Kontakte für eine spätere psychologische Betreuung bei der Trauerbegleitung.

Die Mitarbeiterinnen arbeiten freiwillig und in ihrer Freizeit für das Care Team – zusätzlich zu ihrem Pensum am Kinderspital. Bezahlt werden sie von der Stiftung Chance.

Ein Abschiedsritual für das verstorbene Kind findet auch auf der jeweiligen Intensivpflegestation oder Abteilung statt. Dafür sind ebenfalls die Mitarbeiterinnen des Care Teams zuständig. Ein Windrad und ein Schildchen mit dem Namen des verstorbenen Patienten werden für 24 Stunden auf der Station, am Platz des Kindes aufgestellt.

Die Familien haben die Möglichkeit, das verstorbene Kind noch einmal für ein paar Tage mit nach Hause zu nehmen, so dass Angehörige Abschied nehmen können. Bleibt das verstorbene Kind im Kinderspital, wird es für den Abschied in den Aufbahrungsraum gebracht. Dieser ist wie ein Andachtsraum gestaltet, jedoch konfessionell neutral gehalten.

 

Ein Einsatz in einer Krisensituation dauert für die Mitarbeiterin des Care Teams zwischen zwei bis vierundzwanzig Stunden.

 

Auf Wunsch bietet das Care Team Seelsorger auf. Sterbende Neugeborenen können getauft werden. Die Zusammenarbeit mit den verschiedenen konfessionellen Stellen verläuft professionell, insbesondere mit dem muslimischen Bestattungsamt, da aus religiösen Gründen eine muslimische Bestattung rasch vollzogen werden soll.

Auch der nächste Schritt ist individuell und von Familie zu Familie verschieden: Das Kind kann gemeinsam mit den Eltern eingesargt werden, sofern es noch im Kinderspital ist. Ist es zu Hause, ist der Bestattungsdienst der Gemeinde zuständig.

 

Die Belastung durch die aussergewöhnlichen Einsätze ist nicht zu unterschätzen. Und kann nicht genug geschätzt werden!

 

Nach dem Einsatz in der akuten Krisensituation bleibt die Mitarbeiterin des Care Teams eine Ansprechperson für die Eltern. Sie schreibt den Familien eine Kondolenzkarte, meldet sich nach einem Jahr nochmals bei den Familien und ehrt damit das Andenken des verstorbenen Kindes.

Jede Mitarbeiterin des Care Teams lässt nach einem Einsatz das Erlebte nochmals Revue passieren, bewältigt das Erlebte auf ihre Weise. Die verstorbenen Kinder bleiben in Erinnerung, ihre Namen präsent, ihre Schicksale auf immer mit dem Kinderspital verbunden.

Film über das Care Team siehe FILME.



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